Die Nordstrecke der Rügischen Schmalspurbahnen - Einmalige Chance für den Wiederaufbau
Die Nordstrecke der Rügischen Kleinbahn begann in Bergen und erschloss den Norden der Insel, wo sie in Altenkirchen bzw. Dranske / Bug endete. Sie diente wesentlich dem Güterverkehr, im speziellen Falle der Abfuhr landwirtschaftlicher Produkte und der Versorgung mit Kohle und Baumaterial. Man ermöglichte ausserdem eine bescheidene Personenbeförderung.
Seit Betriebseinstellung dieser Strecke 1971 bis heute hat der Teil der Insel, der Nördlich der normalspurigen Bahnstrecke Bergen-Sassnitz liegt, keine Eisenbahnerschließung mehr.
Die Staus und Gefahrenmomente auf den Straßen dieser Region, besonders an den Wochenenden während der Getreideernte, wenn sich Traktoren, Mähdrescher und PKW gegenseitig behindern, legen uns dringend nahe, dass ein so intensiver Straßenverkehr nicht die richtige Lösung sein kann.
Die Verbreiterung der Straßen, der Bau von mehrspurigen Fernstraßen oder Autobahnen würde sicher den Verkehr aufnehmen können, aber er würde auch den Charakter der Landschaft für immer verschandeln. Halb Deutschland sieht schon so aus, Rügen müsste dazu seine Alleen vernichten. Das will niemand, denn was wäre die Region dann noch wert?
Besser wäre es, das Geld anstatt für Beton für eine maßgeschneiderte Eisenbahn auszugeben.
Hier besteht die grundsätzliche Frage, welche der beiden hauptsächlichen Verkehrsströme, entweder die Abfuhr der landwirtschaftlichen Produkte oder die lokalen Bewegungen der Urlauber, man wieder auf die Schiene bringen sollte, damit die Straßen wieder einigermaßen sicher werden.
Die Landwirtschaftlichen Güter und Baustoffe nehmen heute den Weg mit dem LKW. In der Ernte geht es zu irgendeinem Silo, später bestenfalls zur Bahn nach Bergen, aber oft auch direkt nach München. Die Unsitte des bundesweiten Güter Straßenfernverkehrs lässt sich durch ein Transportangebot von 45 km auf einer lokalen Eisenbahn so schnell nicht wieder zurückdrehen, und die Auslastung der Ladestellen wäre nur in der Erntezeit gegeben.
Mehr Chancen zur sofortigen Abhilfe könnte ein passendes Angebot für den Personenverkehr bieten, welches gleichzeitig lokalen Nahverkehr und touristischen Personenverkehr umfasst.
Noch besser und umfassender wäre die Entlastung, wenn ein Teil der Urlauber gleich mit der Bahn anreisen würden. Heute kommen Urlauber, die im Norden der Insel ein Ferienquartier gebucht haben, mit der Bahn aber nur bis Bergen, on dort aus müssen sie auf der Straße weiter. Viele fahren deswegen lieber gleich die ganze Strecke mit dem Auto.
Ein weiterer Grund, mit dem Auto zu fahren, ist die Möglichkeit von Tagesausflügen an den Strand oder zu anderen Sehenswürdigkeiten.
Damit der An- und Abreiseverkehr wieder mehr auf der Schiene stattfindet, müsste man erstens den Übergang des Reisegepäcks auf die Schmalspurbahn einrichten, und zweitens dafür sorgen, dass es lokale Autovermietungen gibt, die den Urlaubern kleine Autos für solche Tagesausflüge zur Verfügung stellen, die mit der Bahn nicht gehen.
Bei Erfolg dieser Idee hätte sich die notwendige Fahrstrecke auf der Straße insgesamt ganz wesentlich verkürzt. Zweitens wäre auch das Auto noch kleiner geworden, weil es nicht das gesamte Urlaubsgepäck fassen muss, sondern nur das Tagesgepäck oder die Badesachen.
Gern lässt man für einen Tagesausflug sein Auto im Urlaub stehen, wenn es eine nette Kleinbahn gibt. Der im Südteil der Insel aktive Teil der Kleinbahn zeigt, dass genau das gut funktioniert.
Allerdings ist der Südteil der RBB zwischen Lauterbach Mole und Göhren aufgrund seines historischen Fahrzeugbestandes ein wenig langsam. Die inzwischen sanierten Gleise würden heute schon höhere Fahrgeschwindigkeiten als 30 km/h erlauben, aber die historischen Fahrzeuge eben nicht. Trotz ihrer Beliebtheit muss die Bahn immer noch unfreiwillig für Autolobby und ADAC als Aushängeschild für Rückständigkeit und Langsamkeit von Eisenbahnen herhalten, obwohl das technisch längst nicht mehr nötig wäre. Die Entwicklung von Fahrzeugen für Schmalspurbahnen ist in Deutschland aus politischen Gründen 1950 stehen geblieben, und weist somit heute eine 64 Jahre währende Lücke auf.
In Japan, wo man auf die Interessen der Autoindustrie keine Rücksicht nimmt, wird auf Meterspur 100 km/h gefahren, natürlich mit vorbildlicher Gleislage, moderner Signaltechnik und modernen Fahrzeugen. Niemand kann technisch begründen, warum man auf 750 mm Spurweite mit 30 km/h entlang schleichen muss, und nicht wenigstens 60 km/h fahren kann.
Wenn aus den obern genannten Gründen die Nordstrecke der Bahn wieder errichtet werden sollte, dann könnte man die Chance nutzen und nicht die betrieblichen Verhältnisse im Süden kopieren, sondern sich gleichzeitig vom Ballast der alten Fahrzeuge und ihrer technischen Parameter lösen. Es wäre die erste moderne Schmalspurbahn Europas.
Eines der Fährschiffe für die Übersetzstelle, die „Wittow“ wurde von Freiwilligen in Barth jetzt substanziell sichergestellt, seine Restaurierung wird noch andauern. Damit ist es wieder denkbar, auch das Trajekt für Eisenbahnfahrzeuge mit einem Fährschiff wieder in Gang zu bringen. Somit gibt es tatsächlich in 4-8 Jahren eine historische Chance, die Nordstrecke wieder herzustellen. Jeder Inselbewohner und jeder Urlauber sollte sich das wünschen.
Es gab einen ursprünglichen Plan, die Nordstrecke bis Arkona zu verlängern, der leider im Krieg nicht mehr realisiert wurde. Die Strecke endete nach 38 km in Altenkirchen, von dort sind es nur noch ca. 8 km bis Kap Arkona. Kap Arkona besucht fast jeder Tourist auf der Insel Rügen, und der Autoverkehr wird auch dort langsam lästig.
Ein anderer, aus dem Jahre 1900 stammender Plan der Südstrecke, die Anbindung von Lauterbach Mole an das Schmalspurnetz, wurde 108 Jahre später 2008 endlich realisiert - und es wurde ein voller Erfolg.
Somit müsste folgendes Konzept für die Nordstrecke erfolgreich sein:
- A) Strecke mit schwerem Oberbau und 750 mm wieder errichten, bis Kap Arkona verlängern.
- B) lokaler Personenverkehr und Touristischer Personenverkehr im Sommer, Gepäckbeförderung für An- und Abreise
- C) lokaler Personenverkehr und Güterverkehr im Winter.
- D) Mischbetrieb von Dampfzügen und modernen Dieseltriebwagen. Bei hohem Fahrgastaufkommen am Sommertag Züge, abends und morgens und im Winter nur Triebwagen.
- E) Fahrgeschwindigkeit auf 60 km/h erhöhen. Modernisierte Fahrzeuge einsetzen.
- F) Dampfloks rauchfrei, 60 km/h (DLM Winterthur)
http://www.ruegen-forum.net/images/Typenblatt_99.10xx_1d1_de.pdf
Die Spurweite sollte 750 mm sollte unbedingt erhalten bleiben, weil dann ein Fahrzeugaustausch mit dem Südteil des Netzes, zumindest auf Straße oder Regelspurbahn, zur Überbrückung von unvorhergesehenen Engpässen immer möglich bleibt.
Nicht jede der ehemals 20 Haltestellen muss wieder eingerichtet werden, es genügen heute sicher 10. Größere Orte mit Bedeutung für lokalen Nahverkehr sind Patzig, Trent, Wieck, Altenkirchen und bei Verlängerung der Strecke noch Putgarten. Der Zeitaufwand auf der Fähre kann schätzungsweise 10 -15 Minuten betragen.
Die Fahrzeit eines auf schnellen lokalen Nahverkehr ausgerichteten Zuges auf der dann 45 km langen Strecke mit 5 Haltestellen und Fähre läge bei 80 Minuten; bei Bedienung von 10 Haltestellen würden sich etwa 110 Minuten Fahrzeit ergeben. Welche Haltestellen man benötigt und welche Zuggattung besser angenommen wird, kann man im Betrieb durch Zählen der Passagiere an den Haltestellen leicht herausbekommen, und die Betriebsführung anpassen.
Eine kleine Denkaufgabe für die Betriebsführung stellt der Übergang von Personenwagen mit dem Trajekt dar, dort passen nur 3 Wagen an Deck. Eine leistungsfähige D-gekuppelte Schmalspurlokomotive kann bis zur Fähre 8-10 Wagen befördern. Man wird sich überlegen müssen, ob man drei Kurswagen auszeichnet, die dann getrennt und trajektiert werden, und ob man auf der Nordseite wieder die Wagenzahl erhöhen möchte, da man mit vielen Touristen nach Kap Arkona rechnen kann. Eventuell sollten dann noch zusätzliche Plätze für Fußgänger auf der Fähre sein, falls die drei Kurswagen nicht genügen.
Die Erfahrungen, die mit diesen neuen technischen Parametern im Betrieb gemacht werden, können dann auch auf die alte Strecke im Süden der Insel, und sogar auf sächsische Schmalspurbahnen mit dieser Spurweite übertragen werden, um auch dort die Straßen zu entlasten.
Eine historisch einmalige Chance kommt auf Rügen zu.
Einheimische und Urlauber haben das das Autofahren als Gefahrenquelle Nummer 1 jetzt
erkannt, und der Leidensdruck ist unübersehbar geworden.
Im Jahre 2009 kamen in der EU etwa 34.500 Menschen im Straßenverkehr zu Tode. Bei Unfällen auf Eisenbahnen waren es zur gleichen Zeit im gleichen Gebiet 1.428 Personen, davon allerdings nur 37 Fahrgäste und 36 Eisenbahner. Die übrigen 1353 Unfälle mit tödlichem Ausgang ereigneten sich durch Dritte wesentlich an Bahnübergängen (426) oder durch unerlaubten Aufenthalt auf Gleisen (883). Zumindest die Unfälle an Bahnübergängen werden überwiegend durch grobes Fehlverhalten von Autofahrern verursacht, sind also eigentlich dem Straßenverkehr zuzurechnen.
Vergleicht man nun die Häufigkeit tödlicher Unfälle zwischen Bahn und Straße, so stehen 1.000 Todesfällen auf der Eisenbahn 35.000 Todesfälle im Straßenverkehr gegenüber.
Somit ist klar, welches Transportsystem sicherer ist.
Die Chance mit der Fähre sollte man also nicht verpassen, denn die ist einmalig.
Bei den Freiwilligen, die das Schiff gerade retten, wird man mit der Idee Nordstrecke offene Türen einrennen. Wenn es unter diesen Umständen bis 2020 nicht gelingt, die Nordstrecke zu bauen, ist die Strafe dafür hundert Jahre Dauerstau auf den Straßen im Norden Rügens. Eine öde Zukunft, die wir niemandem wünschen wollen.
Hamburg, den 26.08.2014
Vorschlag von:
Joachim Illge,
Op’n Hainholt 109b
22589 Hamburg
Ph. 40 328 73 761 E-Mail: Illge.Reeckmann[ätt]t-online.de
/ 40 36 149 7944